24 Stunden radikal
Einsteigen, umsteigen, aussteigen: Ein früherer Neonazi spricht vor Schülern über seinen Wandel.
Schon bevor wir den Ausstieg öffentlich gemacht haben, gab es eine massive Bedrohungswelle, als sich in der Szene herumsprach, dass ich ein Verräter sein könnte. Es hat sich so zugespitzt, dass wir mittlerweile, was ich sehr eklig finde, als Familie bedroht werden.“ Felix Benneckenstein, Ex-Neonazi und ehemals unter dem Namen „Flex“ auftretender Rechtsrock-Liedermacher, berichtet Schülern im Bayernkolleg in Schweinfurt. Den Ausstieg aus der Szene erleichterte ihm die Organisation „EXIT-Deutschland“, für die er arbeitet. Die Initiative hilft Menschen aus dem Rechtsextremismus in ein neues Leben. Benneckensteins Sympathien für die nationalsozialistische Ideologie waren, so sagt er, in „einer Rebellion gegen sein linksliberales Elternhaus“ begründet. Auch ein Schulabbruch trug zur Empfänglichkeit des damals 15-Jährigen für das rechte Gedankengut bei. „Dadurch konnte gut auf vorhandene Bildungslücken aufgebaut werden“, erklärt der Mann mit der hellen Hose und dem schwarzen Pulli. Als er das erste Mal gehört habe, es hätte keine Gaskammern gegeben, habe es ihm „die Augen verdreht“. Dass Bücher wie „Mein Kampf“ verboten waren, bekräftigte ihn in diesem Glauben. „Das Verbot sahen wir als Vertuschungsaktion des Staates. Je öfter du solche Verschwörungstheorien hörst, desto weniger absurd klingen sie. Darüber hinaus ist der Vorgang der industriellen Vernichtung von Menschen schwer vorstellbar.“ Eine Begegnung blieb ihm besonders in Erinnerung: „Die NPD-Vorsitzende von Erding-Freising war damals eine 103-jährige Zeitzeugin, der man glaubte, wenn sie einem in die Augen schaute und erzählte, dass es nie einen Vergasungswillen gegeben habe, dass nicht alles okay war, aber dass man nur für Arbeit und Brot gekämpft habe und doch mitbekommen hätte, wenn es zu Massenvernichtungen gekommen wäre.“
Aufhetzen mit seiner Musik
In der Szene schrieb er Songs und trat als Rechtsrock-Künstler auf Festivals und in Gasthäusern auf. Nebenbei schlug er sich mit Kurzzeit-Jobs durch. Später gab es auch Geld für Auftritte. „Der Kampf war wichtiger als der eigene Wohlstand, man lebt nach der Parole: Nichts für dich, alles für Deutschland.“ Wie aktiv er in der Neonazi-Szene war, kann man seinen Berichten entnehmen: „Ich habe Leute eingeschüchtert und den Holocaust so oft wie möglich geleugnet, Propaganda betrieben, in Dorfen bei Erding Aufmärsche organisiert und mit meiner Musik massiv aufgehetzt. Das alles empfand ich als Freiheitskampf.“ Als einen großen Radikalisierungsschritt bezeichnet er seinen Umzug nach Dortmund 2007. „Die Szene ist dort größer und hat sogar Betriebe, in denen Nazis arbeiten können – unangemeldet natürlich –, außerdem sind die Mieten dort günstiger.“ In einer Kneipe kam es zu einer prägenden Begegnung: „Ein Typ, der mich erkannte, gab mir seine Nummer und meinte, ich solle ihn anrufen. Es ertönte ein Song von mir als Klingelton. Ich fühlte mich wie ein Superstar.“
Auch vor Träumen oder der Partnerwahl macht die Ideologie nicht halt. „Denn du bist ein schlechter radikaler Mensch, wenn du nicht 24 Stunden am Tag radikal bist. Ich wollte eine nationalsozialistische Freundin haben, die die Ideologie versteht und hinter mir steht, wenn ich mal im Knast sitzen würde.“ Diese fand er in seiner jetzigen Frau Heidi. Lachend stellt er fest: „Als wir zusammengekommen sind, ging es nur noch bergab mit der Radikalisierung, nur noch Richtung Ausstieg.“ Es gab keinen Schlüsselmoment, der den Prozess einleitete, aber „die richtigen Nadelstiche zur richtigen Zeit“.
Vorbestrafte Gewalttäter beaufsichtigten die Kinder
inen dieser Nadelstiche stellten die Erzählungen seiner Freundin über ihre Kindheit dar. Beide wurden im Münchner Umland groß. „Meine Frau wuchs in einer Nazi-Familie auf“, erzählt er bedrückt. Sie musste am Wochenende an Trainingscamps der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend e.V. teilnehmen. „Die Lageraufsicht in solchen Camps bestand aus vorbestraften Gewalttätern. Kinder in einer solchen Familie zu Nazis zu erziehen hat leider eine Erfolgsquote von nahezu 100 Prozent.“ Ihr Vater hortete Essensrationen im Keller, das Mädchen hatte schlaflose Nächte, weil sie Angst vor einer Invasion der Amerikaner hatte. Sie glaubte natürlich der Propaganda ihrer Eltern vom „Scheinfrieden“ in Deutschland und dass sie in die Schule gehen müsse, um die Lügen über das Deutsche Reich und Volk zu erfahren. „Sie wurde durchgehend mit Gewalt und Hetze gebrieft. Heidi wurde ihrer Kindheit beraubt!“ Zu diesem Zeitpunkt erkannte er, wie viel Glück er mit seinen Eltern hatte.
Dazu kam die Gewaltbereitschaft in der offensiven Dortmunder Szene, in der man stolz auf den dreifachen Polizistenmord durch den Neonazi Berger war, der 2000 begangen wurde. „Es wurden T-Shirts gemacht mit dem Aufdruck: Berger ist einer von uns – drei zu eins für Deutschland.“ Fünf Jahre später wurde ein Punk umgebracht, „der nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Mehr hatte der nicht getan.“ Innerhalb der Szene bildeten sich verschiedene Strömungen, zwischen denen es zu Schlägereien kam. „Ich stellte mich auf die Seite einer weniger radikalen Gruppe und wurde dann aus Dortmund verjagt. Da ich mich an diesem Abend gegen die Ideologie entschieden hatte, war ich per Definition ein Verräter.“ Nach und nach begannen er und seine Freundin Aspekte der Ideologie abzubauen, etwa deren Einstellung gegenüber Behinderten. „Da habe ich jahrelang weggehört. Mein Bruder hat Trisomie 21. Ich erkannte, dass ich von einer Überzeugung besessen war, die gegen meinen Bruder kämpft.“
Jung, orientierungslos, radikalisiert
Seinen letzten Auftritt als Nazi hatte er vor acht Jahren, drei Jahre vor dem Ausstieg besuchte er aus Scham keine einzige Demo mehr. Ein schwieriger Schritt, da man seinen Freundeskreis aufgibt und verlässt. „Wer will schon alle seine Kumpels enttäuschen?“ Ihm half der zweite Bildungsweg, für den er sich entschied. „Und das auf Kosten des Staates, den ich mal verachtete.“ Benneckenstein wohnt wieder in München, wo er sich sicher fühlt, und will studieren. Heute werde ihm „ganz anders“, wenn er sich frage, wie viele orientierungslose junge Leute sich seine Musik so zu Herzen genommen haben, dass sie radikalisiert wurden. Eine Begegnung mit einem Journalisten nach einem Vortrag ist ihm im Gedächtnis geblieben: „Er hat mich angesprochen und gefragt, ob ich zufällig wisse, wer hinter der Verbreitung von Flyern über ihn vor einigen Jahren stecke. Zufällig wusste ich es nicht nur – ich bin es selbst gewesen. Nach meinem damaligen Verständnis waren Journalisten Täter, Teile des Staates, der uns unterdrückt. Auf den Flyern hatte ich gefaked, dass ich seine Adresse kenne. Ich hatte echt Glück, dass er das psychisch so gut wegstecken konnte. Schon das zeigt, für wie viele Dinge man sich schämen muss.“
Er saß im Jugendarrest, ermittelt wurde nicht
Seine Eltern haben sich gesorgt, dass ihm etwas passiere oder dass er anderen etwas antue, sie hatten das Gefühl, versagt zu haben. Der Kontakt gestaltete sich schwierig. „Seit wir ihnen aber erzählt haben, dass sie Großeltern werden, ist eh alles in Ordnung.“ Bis jetzt hat Benneckenstein es nicht geschafft, sich mit seiner Gitarre hinzusetzen ohne Flashbacks zu bekommen: „Ich fühle mich einfach nicht wohl in der Rolle des musizierenden Ex-Nazi-Musikers.“ Vielleicht ändert das sein Sohn: „Ihn fasziniert die Gitarre.“
Man hört eine leise Kritik an den Institutionen der Judikative, als Benneckenstein über seine Straftaten spricht: „Mein Führungszeugnis liest sich, als wäre ich Punk oder Fußballfan einer unbeliebten Mannschaft: zigmal Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, paarmal Landfriedensbruch und Beleidigung – sonst nichts!“ Er saß oft im Jugendarrest, bemängelt aber, dass wegen offensichtlicher Straftaten nicht ermittelt wurde. „Ich habe eine Gruppe ausgerufen und Erding vollgeschmiert, da hätte man mich schon mal erwischen können, so schlau war ich dann auch wieder nicht.“ Dafür wurde er für Dinge verurteilt, die er nicht begangen hatte. „Es hat mir nicht viel geschadet, ich dachte jedoch damals, dass der Staat so viel Angst vor meinen Wahrheiten hat, dass er solche Sachen inszenieren muss – so hat das Bild wieder für mich gestimmt.“