Podiumsgespräch mit einem Aussteiger aus Rechter Szene
Elisa Rhode, Deniz Bade (beide 10b) und Marvin Wehrmann
Maik Scheffler machte „Karriere“ als Nazi, dann plagten ihn Selbstzweifel, bis er schließlich aus der Szene ausstieg. Seitdem engagiert er sich gegen Rechtsextremismus. Am 9.11.2023 fand von 18:30 Uhr bis 21:15 Uhr sowohl für die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen, der Q1, der Q2, interessierte Eltern und weitere Gäste, z.B. vom SC Paderborn 07, in der Aula des Theodorianum ein Podiumsgespräch mit Maik Scheffler und Fabian Wichmann, einem Mitarbeiter von Exit-Deutschland, statt. Beide vermittelten dem interessierten Publikum ihre Blickwinkel auf die Vielfalt der rechtsextremen und rechtspolitischen Hintergründe. Herr Wehrmann und Herr Linderkamp moderierten den Abend, an dem Maik Scheffler sowohl seinen eigenen Radikalisierungsprozess skizzierte und reflektierte, als auch die Verführungsmechanismen des Rechtsradikalismus darstellte.
Bereits bei ihrer Begrüßung deutete Frau Michaelis an, dass diese Veranstaltung an einem besonderen Abend, dem 9. November, stattfinden würde. Es gehe mit dieser Veranstaltung darum, junge Menschen für die Gefahren des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus zu sensibilisieren, die demokratischen Werte unserer Gesellschaft zu stärken, um so ein „Nie wieder!“ zu sichern.
Herr Wichmann beschrieb bei seiner Vorstellung, dass er seit 2007 bei Exit-Deutschland, einer 2000 gegründeten Initiative des Zentrums Demokratische Kultur, die Ausstiegswilligen aus der rechtsextremen Szene hilft, tätig ist und seit 2009 hier als Fallbegleiter mit Aussteigern arbeitet. So habe er auch Maik bei seinem Ausstieg unterstützt.
Maik dagegen war 17 Jahre lang in der rechtsextremen Szene aktiv und hat sich nach Selbstzweifeln an Exit gewandt. Nach seinem Ausstiegsprozess ist er jetzt sozialpädagogischer Jugendleiter in Leipzig. Als Leistungssportler bietet er z.B. Selbstverteidigungskurse an, welche die Folgen von körperlicher Gewalt reflektieren und Werte wie Respekt vermitteln. Damit wolle er einen Gegenpol zur sportlichen Ausbildung im Rechtsextremismus schaffen.
Am Anfang des eigentlichen Podiumsgesprächs erklärte er, dass er heute viel von seinem „damaligen Ich“ erzählen würde und dies klar von seinem „jetzigen Ich“ unterscheide. Er begann über seinen damaligen Alltag als Rechtsextremist zu berichten. Er beschrieb diesen mit den Worten: „Nazi sein, war ein Vollzeitjob“. Desillusioniert und orientierungslos nach der Wende, habe er zunächst in der linken Szene halt gesucht, wurde dann aber wegen seines Haarschnitts ausgegrenzt. So wurde er dann, wie viele andere Jugendliche zu der damaligen Zeit, in einem rechten Jugendclub von der NPD rekrutiert. Schnell stieg er in der Partei auf und wurde zum Organisationsleiter in Sachsen und später sogar stellvertretenden Landesvorsitzenden der rechtsradikalen Partei. Hier half er dann rechte Demonstrationen zu organisieren, zu denen er zu Höchstzeiten über 500 Mitglieder aus seinem Netzwerk, welches unter anderem über Facebook aufgebaut wurde, mobilisieren konnte. Außerdem schulte er neu rekrutierte Mitglieder darin, wie man sich bei einer Konfrontation mit der Polizei oder dem Verfassungsschutz zu verhalten habe. Er berichtete jedoch, dass er selber nie mit dem Verfassungsschutz in Berührung gekommen sei. Man habe, so Maik weiter, immer versucht die Mitglieder beschäftigt zu halten, sodass möglichst kein Raum zum kritischen Denken möglich gewesen sei. Viele der Mitglieder, einschließlich Maik, erhielten für ihre „Arbeit“ jene Anerkennung, die sie in ihrem vorherigen Leben gesucht hatten, was auch dazu beitrug, dass sie ihre Ideologien gar nicht erst anzweifelten, sondern immer weiter radikalisierten. Zu dieser Ideologie gehörten vor allem konkrete Feindbilder: Der Staat und das politische System mit all seinen „Regeln“ und Gesetzen, Ausländer und dann vor allem der Islam und das Judentum. Fest in ihrem Weltbild verankert war auch die Einstellungen, dass sie eigentlich die „Richtigdenkenden“ seien und andere von ihrer Denkweise, der „Wahrheit“, überzeugt werden müssten. Dadurch, dass Maik bei Familienfeiern und ähnlichen Ereignissen oft versuchte, andere von seiner Sichtweise zu überzeugen, verschlechterte sich das Verhältnis zu seiner Familie und zu seinen Verwandten und Freunden mit der Zeit. Die Ablehnung und Distanzierung zur eigenen Familie trugen auch dazu bei, dass Maik sich immer tiefer in die rechte Szene integrierte. Er habe laut eigener Aussagen keine andere Wahl mehr gehabt, als in der Szene zu bleiben: „Außerhalb der Szene hatte ich niemanden mehr. Ich hatte keine Freunde mehr, selbst meine Familie wollte keinen Kontakt mehr.“ Die Familie wurde durch seine politische Radikalisierung völlig zerrüttet, erst vor wenigen Jahren habe dann seine Schwester seine Freundschaftsanfrage auf Facebook akzeptiert, heute könne man sich wieder „begegnen“.
Zahlreiche Gewalterfahrungen prägten Maiks politischen Extremismus und trugen schließlich dazu bei, dass Maik an einen Ausstieg dachte. Unter anderem wurde sein Auto unterhalb des Kinderzimmerfenster seiner Wohnung in Leipzig von politischen Gegnern angezündet. Gerade durch die direkte Bedrohung seiner Familie manifestierte sich Maiks Ausstiegsdenken immer konkreter.
Letztlich trat Maik aus der NPD aus, als sein Mentor etwas tat, was völlig seinem eigenen damaligen Weltbild widersprach. Auch lehnte er den parteipolitischen Kurs ab, nur jene Themen zu politisieren, die das Potential hatten, möglichst viele Stimmen im Wahlkampf zu gewinnen. Für ihn sei dies untragbar geworden, denn „wirkliche Themen mit inhaltlichem Potential“ seien dadurch vollkommen hinten angestellt worden. Kritik daran konnte er nicht äußern, denn von höher gestellten Mitgliedern wurde keine Widerrede geduldet: „Man sagte mir: ‚Du darfst auch nicht vergessen, von wem du bezahlt wirst!‘“. Er trat daraufhin aus der Partei aus, wurde schließlich über die sozialen Medien verleumdet, verfolgt und von seinen vermeintlichen „Freunden“ ausgeschlossen. Schließlich wandte er sich an Exit-Deutschland und begann seinen Ausstiegsprozess. Hier habe er erkannt, dass die rechte Ideologie insgesamt das Problem darstelle, und nicht der Staat oder eine andere „Macht“. Mitten im Ausstiegsprozess wurde er und auch wieder seine Familie bedroht, seine persönlichen Daten im Internet veröffentlicht und er zur “persona non grata” der rechten Szene. Zu einem Übergriff auf ihn sei es dann glücklicherweise nicht gekommen, da die sächsische Neonaziszene 2014 nach einem gescheiterten Angriff auf das linke Szeneviertel Connewitz zerschlagen wurde.
Nachdem seinem etwa dreijährigen Ausstiegsprozess entschied er sich, Menschen über die Gefahren des Nazismus aufzuklären und somit seinen eigenen Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie zu leisten. Er wolle so der Gesellschaft etwas zurückgeben, da er doch versucht habe, ihr vieles zu nehmen.
Während der gesamten Veranstaltung hatten Schüler, aber auch die Eltern und Gäste die Gelegenheit Fragen zu stellen. Auf die Frage, ob seine Eltern und Familie nicht versagt haben, weil sie ihn nicht von der rechten Szene hätten fernhalten können, meinte Maik aber, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Er glaubt, dass seine Eltern, wie viele andere auch, meistens nicht genug gegen eine politische Radikalisierung tun könnten. Er sieht die viel wichtigere Rolle bei der Prävention in der Schule. Die Schule habe die Aufgabe, die Schüler bereits im frühen Alter aufzuklären und sie über politisch wichtige Themen zu informieren, sodass sie nicht erst mit diesen Themen konfrontiert werden, wenn sie bereits politisch indoktriniert und radikalisiert seien. In demokratiebildenden Veranstaltungen wie dieser, führte Maik weiter aus, sehe er die Chance, junge Menschen für eine offene, respektvolle und tolerante Gesellschaft zu gewinnen.
Das Theodorianum leistet auch aus Schülersicht diesbezüglich viel Arbeit. Sowohl im Unterricht als auch durch andere unterrichtsbegleitende Projekte, wie das Courage-Scout-Programm, sollen die Schüler im „Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und Freiheit“ aufgeklärt und zum kritischen Denken angehalten werden.
Die Veranstaltung wurde freundlicherweise von Herrn Volker Kohlschmidt vom DemokratieBüro Paderborn finanziell ermöglicht. Für diese Unterstützung bedanken wir uns auch an dieser Stelle herzlich!