Das Leben nach dem Ku-Klux-Klan
Von Alexander Krützfeldt
Achim Schmid war Chef des deutschen Ku-Klux-Klan und fasziniert von der rechten Ideologie. Heute lebt der gebürtige Mosbacher in den USA und macht sich für Intergration stark.
Heilbronn – Wäre Achim Schmids Leben in Schuhkartons verpackt, es wäre eine lange Reihe davon. Sein größter Schuhkarton, etwa so groß wie ein Drittel seines bisherigen Lebens, stünde staubig in einer dunklen Ecke. Schmid macht keinen Hehl daraus, dass er da ist. Es ist nur so: Er sieht ihn nicht gern.
Achim Schmid war Chef des deutschen Ku-Klux-Klans. Heute arbeitet der 41-Jährige in den USA in einer Firma für Sound, Video und Spezialeffekte und im Bereich Marketing. Er hilft ehrenamtlich Migranten und Minderheiten, ein gutes Leben zu führen – ein besseres als sein eigenes –, und ist somit wohl zum Gegenteil dessen geworden, was er einst war: ein Mann voller Hass und blankem Rassismus.
Der Klan: ein rassistischer und gewalttätiger Geheimbund, gegründet am 24. Dezember 1865 zur Unterdrückung der Schwarzen. Anders als viele denken, ist der Ku-Klux-Klan heute längst nicht mehr so mächtig, wie ihn Filme und Literatur haben erscheinen lassen. Aber die Popkultur hat seinen Mythos genährt und großgehalten. Und auch Achim Schmid wird dem Klan verfallen, weil er genau dieses Bild von ihm hat.
Die Eltern lassen sich früh scheiden
Achim wird 1975 in Mosbach geboren. Die Eltern lassen sich früh scheiden. Rosenkrieg. Ein Krieg, der nur zivile Opfer kennt: die Kinder. Irgendwann zieht sein erwachsener Vater wieder bei der Mutter ein, dann gibt es plötzlich keine Besuche mehr. Der Vater stirbt an Lungenkrebs. Von da dann verschwindet auch das Lächeln von seinem Kindergesicht, die Bilder sind starr, grau und wie auf Stein gezeichnet. Er beneidet die anderen Kinder, die einen Vater haben, der mit in die Kirche geht und am Esstisch sitzt. Achim vermisst seinen Vater, jemanden, an den er sich anlehnen kann, wenn der Wind stark ist. Eine starke Hand und Orientierung im Leben. Der einen guten Rat gibt, vielleicht. Der an den Wochenenden da ist.
Achim Schmid ist 13, als in der Schule Musik-Kassetten die Runde machen: Störkraft und Böhse Onkelz. Die Musik ist cool. Sie ist anders. Neu. Hart. Deutsche Texte. Was ihm aber noch besser gefällt: diese Wut. Die Wut, nicht dazuzugehören; die Wut, die nur der Einsame empfindet. Diese Wut kennt Achim gut.
Eines Tages hört er von älteren Jungs, die auch diese Musik hören. Sie haben kurz geraspelte Haare, der größte von ihnen lässt sich von den anderen „Chefglatze“ nennen. Sie tragen Springerstiefel und olivgrüne Bomberjacken. Sie nehmen den Jungen auf wie eine Familie. Doch Chefglatze hält die Gruppe für schwächlich, so dass er ab und zu Zeichen setzen will: Da steht dieser junge Typ in der Telefonzelle. Der Chef stellt sich demonstrativ in die Tür. „Guck ins Telefonbuch“, sagt die Chefglatze. Der Junge blättert hektisch im Telefonbuch. Die Skins grinsen sich an. „Wonach soll ich gucken?“, fragt er. „Guck bei S“, sagt die Chefglatze. „Und welchen Namen soll ich suchen?“ „Streit“, sagt die Chefglatze. „Du suchst doch Streit, oder?“ Schmid hält den Anführer gerade noch zurück, als er den Jungen zusammenschlagen will. Die Nachmittage verbringt Schmid mit ein paar Freunden im Proberaum – auch linke Punks und Skins sind dabei. Politik bleibt vor der Tür. Sie gründen die Band Geisterfahrer und verstehen sich gut. Obwohl er sie nie vertont, schreibt Achim Schmid da schon seine ersten rechtsradikalen Texte.
Blut läuft aus seinem Körper
Zwei Jahre später liegt Schmid in einem Acker und starrt in den Himmel. Blut läuft aus seinem Körper. Es ist Nacht, und draußen vor dem Feld suchen die Scheinwerfer von Autos nach ihm. Sie waren in der Disco gewesen, er und die anderen Neonazis. Sie sehen einen jungen Türken mit einem Golf vorfahren. Er ist viel zu jung für den Führerschein, das nervt die Skins. Als er in die Disco geht, gehen sie an den Wagen. Vier von ihnen schnappen tragen das Auto in einen Acker. Bisschen Spaß muss sein. Aber jemand musste es gemerkt haben, denn kurz darauf jagt ein Mob junger Türken die Skins über die Felder. Schüsse fallen. Einer trifft Achim als Streifschuss in der Hüfte. Blutend bleibt er im Feld liegen.
Zwei Strafen sammelt Achim Schmid: eine wegen Körperverletzung, die Anklage wird fallengelassen. Und eine Verurteilung wegen Volksverhetzung. Dann fällt die Mauer. Bei einem Auftritt seiner Band im Osten ist Schmid beeindruckt von der grenzenlosen Radikalität der „neuen“ Neonazis aus den neuen Ländern – und ihrer gewalttätigen Musik. Diese jungen Neonazis, sozialisiert im Machtvakuum der ehemaligen DDR, werden später bekannt werden als die „Generation Hoyerswerda“. Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind ein Teil dieser Generation. Sie sind etwa so alt wie er. Und Schmid hält es heute für wahrscheinlich, dass sie alle zusammen diese Konzerte besuchten.
Nch einem dieser Konzerte hält ein Auto neben ihm: Er heiße Jürgen, sagt der Fahrer, und wolle sich nur unterhalten. Achim steigt ein und fährt mit ihm zu einem Lokal. Dann ein zweiter Anwerbeversuch. Dieses Mal bietet der Andere Geld. Schmid willigt ein. Über einen längeren Zeitraum hätten dann immer wieder Gespräche stattgefunden – gegen Bezahlung –, sagt er heute. Er sei aber nie in der Behörde gewesen, die Treffen hätten anderswo stattgefunden. Konkrete Aufträge habe er aber nie bekommen.
Auf einem Grillfest nahe Stuttgart
1998 wird Achim Schmid, mittlerweile einer der bekanntesten rechten Liedermacher Deutschlands, vom Ku-Klux-Klan angesprochen – auf einem Grillfest nahe Stuttgart. Holger „Tweety“ Wied ist unter den Gästen, der frühere Gitarrist der rechtsextremen Skinband Triebtäter und szenebekanntes Mitglied des Ku-Klux-Klans. Schmid kennt ihn, man hatte einige Zeit eine lose Freundschaft gehabt. Schmid hat gerade seinen Auftritt beendet, da holt Wied ihn auf ein Bier zu sich und fragt in breitem Schwäbisch: „Willsch net bei de Zipfelmitze mitmache?“ Schmid fühlt sich sehr geschmeichelt und sagt sofort zu: Der Klan, denkt er, ist elitär, geheimnisvoll, sogar intellektuell.
Doch die Treffen beim Ku-Klux-Klan – den „International Knights“ – verlaufen enttäuschend. Schmid ist zunächst euphorisch, dann ernüchtert und schließlich enttäuscht. Es werden keine Zeremonien abgehalten. Kaum jemand trägt weiße Kutten. Es sind nur Männer, die saufen. Schmid verachtet die Truppe, zugleich recherchiert er im Angebot der rechten Ideologen. Bei den amerikanischen Klan-Chefs stoßen sein Fleiß und sein Eifer auf Wohlwollen. Sie laden ihn ein; er solle einen eigenen Klan für Deutschland gründen – dafür würden sie ihn zum „Grand Dragon“ ernennen. Der Anführer im Klan ist der „Imperial Wizard“. Seine Statthalter in den Bundesstaaten, die eigene Ableger führen, sind die „Grand Dragons“.
Schmid gefällt die Idee. Schnell denkt er sich einen Namen aus: „European Knights of the Ku Klux Klan“. Dann bucht er die Flüge nach Amerika, um sich zum „Grand Dragon“ weihen zu lassen. Dieser Ritterschlag ist der größte Tag seines Lebens.
Auch privat kommt es zum Showdown
Doch der deutsche Klan löst sich wenig später wieder auf. Zu umstritten sind Schmids „weiche Linie“ und seine christlichen Ideen. Auch privat kommt es zum Showdown. Schmid ist kein Vorzeige-Ehemann. Im Streit schlägt er seine Frau, sie verlässt ihn. Im Sommer 2012 decken Medien auf, dass er der ehemalige Chef des Ku-Klux-Klans in Deutschland ist. Die Schlagzeilen werden die Familie zerreißen und die Region erschüttern. Seine ältere Schwester bricht den Kontakt sofort ab. Baden-Württemberg hat einen Skandal: Polizisten im Ku-Klux-Klan! Schmid packt seine Sachen und bucht Tickets: Memphis, Tennessee. Es hofft auf ein neues Leben.
„Wenn ich könnte, würde ich alles noch mal zurückdrehen“, sagt Schmid heute. Er lebt in der Gegend Amerikas, die man den „Bibel-Gürtel“ nennt. Er glaubt an Gott. Seine Kinder haben sich wieder gemeldet. „Natürlich musste ich auch meinem Sohn viel erklären“, sagt Schmid. „Also habe ich ihn beiseitegenommen und alles auf den Tisch gelegt – den ganzen Karton. Der Sohn hat gesagt: ,Danke, Papa.‘ Und dann war es gut.“
Seine Schwester spricht bis heute nicht mit ihm. „Meine Mutter wünscht sich noch mal ein gemeinsames Weihnachtsfest“, sagt Schmid. Wird sie ihm irgendwann verzeihen? „Ich weiß es nicht“, so Schmid. „Aber wer bin ich auch, das zu verlangen.“