Die Antwort ist einfach: Engagement!
Seit dreizehn Jahren hilft EXIT Deutschland Menschen, die mit dem Rechtsextremismus brechen und sich ein neues Leben aufbauen wollen.500 Ausstiege haben sie seither begleitet. Wir sprachen mit EXIT-Mitarbeiter Fabian Wichmann über das vergangene Jahr 2013, alte Probleme und neue Entwicklungen.
Das Jahr 2013 endet, aber das ist ja nicht das erste Ende, mit dem sich EXIT in diesem Jahr konfrontiert sah. Im März dieses Jahres sah es ja danach aus, dass EXIT nicht weiterarbeiten kann, doch ihr arbeitet noch. Was ist passiert?
Ja das ist richtig. Im März spätestens April diesen Jahres war es wieder soweit. Wie vielen anderen Projekten drohte auch EXIT mal wieder das modellhafte Aus. Bis Ende April 2013 wurde EXIT durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfond zusammen mit 16 weiteren Projekten gefördert. Mit dem Auslaufen des Programms war ein weiteres Mal die Finanzierung fraglich und es sah auch lange danach aus, dass es keinerlei Anschlussfinanzierung geben würde. Die Hoffnung, dass es eine weitere Möglichkeit der Finanzierung geben könnte, wich ehrlich gesagt einem Pessimismus, begründet in der „Kultur der Verantwortungslosigkeit“, wie es Annetta Kahane treffend zusammengefasst hat. Es waren ja schließlich nur wenige Wochen bis zum Auslaufen der Finanzierung. Das Problem der Finanzierung hatte aber eine enorme inhaltliche politische und menschliche Dimension für diejenigen, die sich an den Staat und die demokratische Gesellschaft um Hilfe gewandt haben. Hilfe dem Kreislauf rechtsradikaler Gewalt zu entfliehen.
Nun ging es aber doch weiter. Was ist also passiert?
Ein politischer Sinneswandel an der Spitze der Bundespolitik fand statt. Aufmerksamkeit und Unterstützung der Öffentlichkeit und auch ein Kommentar von Hans Ulrich Jörges im stern, unter dem Titel: „Schämt euch!“. Viele Bürger schrieben, diskutierten über die Situation und Frau Stubbe aus Bremen startete eine Petition. Die Petition hatte am Ende mehr als 5.000 Unterzeichner. Ende März gab es dann mit einem Beschluss der Bundesregierung ein klares Signal seitens der Politik zur Finanzierung von EXIT. Dass Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernahm die weitere Förderung. Aber sehr wichtig war in der Rückschau das deutliche öffentliche Votum. Dafür möchten wir uns auch an dieser Stelle noch mal herzlich bedanken. Denn das freut uns und gibt auch Kraft für Weiteres.
Kraft für Weiteres ist ein gutes Stichwort. Wie ging es weiter, nach dem das drohende Ende abgewendet war?
Wir haben uns dann wieder unserer eigentlichen Arbeit gewidmet — also der Ansprache und Begleitung von Aussteigern. Die mehr als 500 Aussteiger, die wir jetzt in den 13 Jahren begleitet haben, zeigen eindrucksvoll, dass es auch weiterhin notwendig ist das Angebot der Ausstiegsbegleitung bereitzustellen. Darüber hinaus verstehen wir uns nicht als Projekt, das wie es abfällig heißt „Glatzenpflege“ betreibt oder ausschließlich Einzelfallhilfe für „Verirrte“ anbietet. Das ist zu kurz gegriffen und darüber hinaus — mit Blick auf den Terminus „Glatzenpflege“ – vollkommen absurd. Der Kerngedanke von EXIT ist die kritische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Verhaltens- und besonders auch Einstellungsmustern. Es geht uns nicht darum, irgendjemanden einen Job zu verpassen oder davon zu überzeugen statt Erik&Sons nun H&M zu tragen. Das greift zu kurz und beschreibt nicht unsere Philosophie. EXIT bietet „Hilfe zur Selbsthilfe“, was bedeutet, dass sich die potentiellen Aussteiger an uns wenden und wir zusammen mit den Aussteigern kritisch über Ihre Vergangenheit und an ihrer Zukunft arbeiten. Was selbstredend nur funktioniert, wenn die betreffende Person das selbst mitträgt und eine eigene Motivation mitbringt. Was wir aber machen können ist, sie ansprechen, was wir auch vielfach gemacht haben. Über Flyer, Banner und Plakate — die zu unserem Ärger oftmals zerstört wurden — haben wir versucht, direkt bei Demonstrationen der rechtsextremen Szene präsent zu sein. Und das auch mit der einen oder anderen grafischen oder inhaltlichen Provokation, z. B. durch unsere „Mein Früher“ Kampagne.
Was sind neben diesen Aktionen und kleineren Sachbeschädigungen, eure größten Schwierigkeiten gewesen?
Nun ja, das sind vielschichtige Probleme. Zum einen sind es Fragen der Sicherheit, wobei dabei nicht nur um die Sicherheit im alltäglichen sozialen Umfeld geht. Es betrifft dabei konkret juristische Schwierigkeiten aus dem Gefährdungsrecht, und zwar die Kategorien der abstrakten und konkreten Gefährdung, die auch für Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, relevant sind. Denn es stellt sich die Frage, wie konkret muss eine Gefährdung sein, um einerseits Schutz zu genießen, aber auf der anderen Seite nicht schon Opfer zu sein. Diese Probleme betreffen unsere konkrete Arbeit und machen sie bisweilen sehr anstrengend. Ein weiteres Problem ist die Frage nach dem Umgang mit Aussteigern in der Gesellschaft. Auch wenn beteuert wird, dass Aussteiger wichtig sind, gibt es allzu oft in der Praxis Probleme, da dennoch Vorbehalte bestehen, was durchaus verständlich ist. Aber, und das ist der kritische Punkt, wenn diese Vorbehalte gegenüber dem Thema allgemein und den Ausgestiegenen im Speziellen, nicht kritisch hinterfragt werden, wird es für uns und die Ausgestiegenen problematisch. Denn der Slogan „Nazis raus!“ ist für uns nur ein unvollendeter. Denn die Fragen nach dem Wie? Wohin? Und was dann? müssen auch gestellt werden und das nicht nur von EXIT.
Was gibt es sonst noch aus der Arbeit von EXIT-Deutschland zu berichten?
2013 war für EXIT-Deutschland – von der zwischenzeitlichen Situation am Jahresanfang mal abgesehen – ein sehr erfolgreiches Jahr. Gleich zu Anfang des Jahres haben wir einen großen Fortschritt in Form eines Bundesverfassungsgerichtsurteils,verzeichnen können, der auch auf die beschriebene Praxis des Gefährdungsrechts im Ausstiegsfall verweist. Das war sehr wichtig für uns. Darüber hinaus hatten wir viel Besuch, unter anderem vom schwedischen Botschafter in Berlin Staffan Carlsson und der EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström. spannende und wichtige Veranstaltungen zusammen mit dem stern sowie anderen Partnern. Und, sozusagen als wirklich schöner Abschluss des Jahres wurden wir im November mit dem Erich Maria Remarque Friedenspreis der Stadt Osnabrück ausgezeichnet, was uns natürlich besonders freute.
Aber auch inhaltlich haben wir in diesem Jahr viel erreicht. Es gibt nun ein in der Bundesrepublik einmaliges Online-Journal JEX, das auch für die Arbeit und Transparenz von EXIT-Deutschland sehr wichtig ist. Über dieses Medium kann sich jeder ein Bild von unserer Arbeit machen und aktuelle Diskussionen im Bereich der Deradikalisierungsforschung verfolgen. Daneben haben wir zum dritten Mal zusammen mit dem Landkreis Dahme-Spreewald unseren alljährlichen Fachtag abgehalten und in Berlin einen solchen zum Thema Deradikalisierung in Wissenschaft und Praxis auf die Beine gestellt..
Und nicht zu vergessen die erste Botschafter-Verleihung durch EXIT-Deutschland. Was war die Motivation, diese Auszeichnung ins Leben zu rufen?
Die Antwort ist einfach: Engagement! Wir sind der Meinung, dass aktives bürgerschaftliches Engagement in seiner Bedeutung für die Stabilität einer demokratischen Kultur kaum zu überschätzen ist. Das Eintreten für Freiheit und Würde von Menschen und damit gegen demokratie- und freiheitsfeindliche sowie menschenverachtende Ideologien im Alltag erfordert Mut – Mut, Gesicht zu zeigen, sich einzumischen, beharrlich Fragen zu stellen und sich dem öffentlichen Diskurs, der Kritik und manchmal auch Bedrohung zu stellen. Das muss beachtet und wertgeschätzt werden! Wir zum Beispiel konnten und können nur weiterarbeiten, weil viele Menschen schon so oft Mut bewiesen haben und sich in unterschiedlichster Weise eingesetzt haben. Dafür wollten wir uns einfach mal bei Partnern und Unterstützern bedanken und darüber hinaus Mut auch weiter machen, sich einzusetzen. Dabei wurden wir von Persönlichkeiten unterstützt, die eine engagierte und erfolgreiche Lebensbilanz ziehen, wie Dieter Hallervorden und Hardy Krüger und auch durch den stern.
Welche Pläne verfolgt EXIT Deutschland 2014?
Um es kurz zu machen, getreu dem Motto des Erich Maria Remarque Friedenspreises: „Wir bleiben im Gespräch!“ Das heißt, wir werden auch weiterhin unsere Zielgruppe ansprechen und für diese ansprechbar sein, aber wir werden natürlich auch versuchen, ähnlich wie mit unserem trojanischen T-Shirt, weiterhin auch im öffentlichen Gespräch zu bleiben. Aber das müssen wir erst mal sehen — wir haben da Ideen und in wie fern diese realisierbar sind, müssen wir dann schauen. Von daher nutze ich die Möglichkeit mich an dieser Stelle lieber bei allen Unterstützern und Förderern von EXIT-Deutschland zu bedanken und wünsche allen ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2014.
Auch veröffentlicht bei MUT GEGEN RECHTE GEWALT
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