Ein leben auf der Flucht
Von Andreas Förster
Tanja Privenau brach mit der Neonazi-Szene. Seitdem lebt die Frau versteckt, weil sie als Verräterin gebrandmarkt ist. Ein Familiengerichts-Urteil bringt sie und ihre Kinder in neue Gefahr. Der Vater, ein gewaltbereiter Neonazi, soll seine Söhne künftig sehen dürfen.
Darin steht, dass die drei Richter „keine belastbaren Bedenken“ gegen einen Umgang des Kindesvaters mit den drei minderjährigen Söhnen von Tanja Privenau haben. „Keine Bedenken, dass ein gewalttätiger und vorbestrafter Nazi und sein rechtes Netzwerk uns nach all den Jahren des Versteckens aufspüren können?“, fragt sie empört. „In welcher Welt leben diese Richter eigentlich?“
Der Fall Privenau ist mehr als ein üblicher Familienrechtsstreit um Kindesumgang. Hier geht es um die Frage nach der Fürsorgepflicht eines Staates für Menschen, die sich unter großen persönlichen Gefahren gegen Extremisten stellen und damit die Gesellschaft schützen.
Mit neuer Identität versehen
Vor sieben Jahren ist Tanja Privenau mit Hilfe der Initiative Exit aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Eine Sensation war das damals, Polizei und Verfassungsschutz wollten es kaum glauben. Für sie zählte die Norddeutsche, die schon als 13-Jährige in die Szene eingetaucht war, zu den überzeugten Nationalsozialisten. Sie war Kameradschaftsführerin, gehörte der verbotenen Wiking-Jugend an, koordinierte die Frauenarbeit in der rechten Szene, hielt Schulungen ab und organisierte Neonazi-Aufmärsche, bei denen sie auch mit Pflastersteinen warf, wie sie zugibt. „Ich war 20 Jahre lang Neonazi von Beruf“, sagt sie heute.
Wie ihr Ex-Mann, mit dem sie drei gemeinsame Söhne hat. Markus Privenau, wegen eines tödlichen Unfalls mit einer Schusswaffe vorbestraft, ist aber bis heute ein überzeugter Neonazi mit engen Beziehungen zur NPD. In der rechten Szene Norddeutschlands ist er eine bekannte Größe, er hat dort viele Freunde unter den gewaltbereiten Neonazis.
Seit ihrem Ausstieg hat Tanja Privenau ihr Wissen über diese Szene den Sicherheitsbehörden offengelegt. Sie half bei Exit mit, Neonazi-Aussteiger zu betreuen. Immer wieder tritt sie auch, mit Perücke und Sonnenbrille maskiert, bei Fernsehsendungen und öffentlichen Veranstaltungen auf, um über die von NPD und Neonazis ausgehende Gefahr zu berichten.
Die Szene nimmt ihr das übel, stempelt sie als Verräterin ab. In rechten Internetforen konnte man lesen, dass man sie eines Tages finden und dem „Reichsgericht“ übergeben werde. „Ich habe das schon so verstanden, dass die Nazis mich damit unter ihresgleichen zum Abschuss freigaben“, sagt Tanja Privenau.
Tatsächlich wurde die Aussteigerin schon nach einem Jahr in Sachsen aufgespürt, obwohl die Behörden ihr und den Kindern eine neue Identität gegeben und eine Wohnung besorgt hatten. „Plötzlich stand da ein Auto vor meinem Haus, da saßen Rechte drin. Da wusste ich: Jetzt haben sie dich, jetzt wissen sie, wie du heißt, wo du wohnst.“ Privenau und ihre Kinder mussten erneut die Identität wechseln und umziehen. Seitdem wohnen sie, bislang unentdeckt, in einem anderen Bundesland.
Kinder leiden unter dem Druck
„Es ist ein Leben in Angst, nicht zuletzt durch das jahrelange Gerichtsverfahren, in dem ich immer die Angst hatte, dass unsere Tarnung auffliegt“, sagt Tanja Privenau. Sie ist davon überzeugt, dass ihr Ex-Mann und seine Freunde noch immer hinter ihr her sind. „Die wollen uns nicht in Ruhe lassen, uns nicht die Möglichkeit geben, ein neues Leben unbeschwert zu führen.“
Vor allem die Kinder leiden unter diesem Druck. Die Söhne waren nach der Flucht lange in psychotherapeutischer Behandlung. Ihre große Tochter ist an den Lebensumständen psychisch zerbrochen, 2010 starb sie, gerade mal 20-jährig. „Sie hat unsere auch körperliche Bedrohung durch meinen Ex-Mann in der Zeit, als wir noch zusammenlebten, nie mehr aus dem Kopf bekommen“, sagt Tanja Privenau leise. „Es war schrecklich, für uns alle.“
Im November 2008 wurde die Ehe der Privenaus vom Amtsgericht Dresden geschieden. Das Sorgerecht bekam die Mutter zugesprochen. Dem Vater versagte das Gericht damals auch das Umgangsrecht für die drei minderjährigen Söhne. Die Begründung: Die Kinder müssten zum Schutz ihrer jugendlichen Persönlichkeit von der politischen Indoktrination durch den rechtsradikalen Vater ferngehalten werden.
Markus Privenau ging in Berufung, das Verfahren übernahm nun der Familiensenat des Oberlandesgerichtes. „Da hatte ich schon den Eindruck, die behandeln das wie einen ganz normalen Familienstreit“, sagt Tanja Privenau. „Unsere Bedrohungslage, die Naziszene, in der sich der Privenau bewegt — das hat die Richter gar nicht interessiert.“
In seinem Beschluss, der der Frankfurter Rundschau vorliegt, erklärt das Gericht tatsächlich, es lägen zwar Einschätzungen mehrerer Sicherheitsbehörden vor, wonach für die Mutter und ihre Kinder „die abstrakte Gefahr bestehe, erheblich erhöhtem körperlichem und seelischem Druck ausgesetzt zu sein“. Auch seien „spontane Einzelhandlungen möglich, um ein Exempel zu statuieren“. An einer aktuellen und konkreten Gefahrenlage habe der Senat jedoch seine Zweifel. Auch eine Beeinflussung der Kinder mit rechtsradikalem Gedankengut sei nicht zu erwarten, da zumindest im ersten Jahr die Treffen im Beisein eines sogenannten Umgangspflegers stattfinden würden.
Die Pflicht des Staates
Tanja Privenau sorgt sich nach diesem Urteil vor allem um die Gesundheit ihrer Söhne. „Im Laufe des Verfahrens sind die Jungs von einer Psychologin und dem künftigen Umgangspfleger befragt worden“, erzählt sie. Dabei habe man sie mit ihren alten Namen angesprochen, Fotos für den Vater gemacht, ihnen Briefe von Markus Privenau vorgelesen. „Sie waren völlig aufgewühlt danach, bekamen Fieber.“
Am 6. Oktober soll es laut dem Gerichtsbeschluss nun zum ersten Wiedersehen zwischen den drei Jungen und ihrem Vater kommen. Das soll sich an jedem ersten Sonnabend des Monats wiederholen, jeweils zwei Stunden lang und bis kommenden Juli im Beisein des Umgangspflegers.
Danach kann der Neonazi-Vater seine Kinder auch allein treffen. „Spätestens dann kann er herausbekommen, wo er und seine Freunde uns finden können“, fürchtet Tanja Privenau.
Doch noch hat die 41-Jährige die Hoffnung, dass ihr „Sicherheitskokon“, wie sie es nennt, nicht zerrissen wird. Ihr Anwalt bereitet eine Verfassungsklage gegen das Dresdner Urteil vor. „Die Sicherheitsbehörden profitieren bis zum heutigen Tage von meinem Wissen und meinen Einschätzungen über die rechtsextreme Szene“, sagt sie. „Da kann ich doch auch erwarten, dass der Staat mich und meine Kinder schützt und uns dabei hilft, ein Leben ohne Angst führen zu können.“
Zuerst veröffentlicht am 10.08.2012 unter www.fr-online.de
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