Ermächtigen und entmachten
Von Fabian Wichmann
Am 23. März 1933, vor achtzig Jahren, wurde am Vorabend des 2. Weltkrieges das Ermächtigungsgesetz mit weitreichenden Folgen für die Geschichte Deutschlands und der Welt verabschiedet. Weltkrieges das Ermächtigungsgesetz mit weitreichenden Folgen für die Geschichte Deutschlands und der Welt verabschiedet. Doch warum sollte uns das heute noch beschäftigen?
Mit den Stimmen der Regierungskoalition aus Nationalsozialistischer Deutscher Arbeiterpartei (NSDAP) und Deutschnationaler Volkspartei (DNVP), sowie den Oppositionsstimmen von Zentrum, Bayerischer Volkspartei (BVP) und Deutscher Staatspartei wurde das Gesetz in namentlicher Abstimmung und unter Drohgebärden der anwesenden SA angenommen. Gegen dieses Gesetzes stimmten ausschließlich 94 Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) durch Enthaltung. Die 81 Abgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) waren von der Wahl bereits ausgeschlossen, da ihre Reichstagsmandate auf Basis der Reichstagsbrandverordnung vom 8. März 1933 bereits annulliert worden waren. Das “Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich”, dass von Reichskanzler Adolf Hit-ler dem Reichstag vorgelegte wurde, hatte das Ziel die politische Macht ausschließlich an die Regierung zu binden und die parlamentarische Mitbestimmung zu verhindern. De facto wurde damit der Reichstag ausgeschaltet, die Verfassung außer Kraft gesetzt und mit ihr elementare Grundlagen des Verfassungsstaats — das Prinzip der Gewaltenteilung – durchbrochen. Die Grundlage der nationalsozialistischen Diktatur war damit geschaffen. Der Begriff der Ermächtigung führt dabei inhaltlich in die Irre.
Unter einer Ermächtigung versteht man allgemeinhin, die Erlaubnis an einen Dritten, ein ihm sonst nicht zustehendes Recht oder Rechtspositionen im eigenen Namen auszuüben. Dazu bedarf es im Regelfall dreier Parteien: Eine Partei, die ermächtigt – also dem Ermächtigten sein Vertrauen ausspricht, zum Zweiten die Partei des Ermächtigten und zuletzt eine Partei, die die Ermächtigung anerkennt. Der Ermächtigte seinerseits soll — so die Theorie – im Sinne des Ermächtigenden handeln. Damit hat der Ermächtigte nicht nur das Vertrauen des Ermächtigenden, sondern auch die Verantwortung in dessen Sinne zu handeln. Das schließt mit ein, dass der Ermächtigung eine Berechtigung, im Sinne einer aktiven und freien Erlaubnis, oder Legitimation vorrausgeht, die mit Vertrauen erworben und Verantwortung umgesetzt werden soll.
Versteht man den Begriff Ermächtigung in diesem wörtlichen Sinn, wird man dem Kern des Ermächtigungsgesetzes sowie den weitreichenden historischen Folgen nicht annähernd gerecht. Denn Adolf Hitler wurde am 23. März 1933 nicht das volle Vertrauen ausgesprochen und er damit im wörtlichen Sinne zum Wohle aller (vertrauensvoll) ermächtigt, sondern Reichstag und Reichsrat sowie der Reichspräsident, wurden schlichtweg entmachtet. In diesem Sinn war es vielmehr ein Entmachtungsgesetz denn eine Ermächtigung.
Heute, achtzig Jahre nach diesem Beschluss, stellt sich die Frage nach der Wechselwirkung von Verantwortung, Vertrauen und Ermächtigung erneut und damit verbunden ebenso die Frage nach der historischen, politischen und gesellschaftlichen Verantwortung für die Gegenwart. Studien von Wilhelm Heitmeyer und der Friedrich-Ebert-Stiftung, sowie die jüngsten Entwicklungen im deutschen Rechtsextremismus und explizit dem deutschen Rechts-Terrorismus, zeigen, dass es neben dem erheblichen Potential an rechtsextremen Denkens in der Bevölkerung zudem einen extremistischen Kern gibt, der nicht vor Gewalt bis hin zum Mord zurückschreckt.
Doch ist man sich dieser politischen Verantwortung der Gegenwart – die unmittelbar mit der deutschen Geschichte verbunden ist — immer bewusst? Offenbar nicht oder wenn, zumindest nicht ausreichend erkannt in seiner Tragweite der gesellschaftspolitischen Dimension!
Die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) haben sehr drastisch dargestellt, wie und wann eine historische Verantwortung von der gegenwärtigen Verantwortung abgespalten werden kann. Nämlich gerade dann, wenn eine Gesellschaft einen Verantwortlichen identifizieren kann. Jemand, der für etwas verantwortlich gemacht werden kann, jemand, den man ermächtigt hat dieses oder jenes zu tun und der dieser Aufgabe nicht gerecht wurde. Im Fall des NSU sind die Sicherheitsbehörden zu nennen, die zurecht in der Kritik stehen und deren Wirken und Handeln aufklärungsbedürftig ist. Doch die Frage nach dem wie, welche die Untersuchungsausschüsse nun beschäftigt, schließt die Frage nach dem warum mit ein. Warum konnten Böhnhard, Mundlos und Zschäpe 10 Jahre ungehindert morden? Warum wurden Indizien, die auf ein rechtsextremes Motiv schließen lassen, nicht entsprechend bewertet? Warum hat niemand — den Autor eingeschlossen — die Ermittlungsergebnisse ernsthaft in Zweifel gezogen? Vielleicht weil auch wir jemanden ermächtigt, unsere Verantwortung — zumindest ein Stück — abgegeben haben und damit Teil dieser Entwicklung wurden?
Ein anderes Beispiel dieses Wechselverhältnisses begegnet dem aufmerksamen Beobachter fast täglich. Immer wieder, ob in den Medien, bei der Arbeit oder im sozialen Umfeld stößt man auf die verbreitete Meinung, dass die Greultaten des III. Reiches lange zurückliegen und man persönlich damit nichts mehr zu tun hätte. Man gehöre bereits zur Nachkriegsgeneration und könne somit nicht mehr in die Verantwortung oder gar Haftung genommen werden. Das mag formaljuristisch richtig sein, gesellschaftlich greift diese fatale Position jedoch zu kurz. Denn auch hier funktioniert derselbe Mechanismus der Ent-Verantwortlichung. Die historische Verantwortung wird von der gegenwärtigen Verantwortung abgespalten und eine haftbare Gruppe — zumindest historisch — ausgemacht. Ausgeblendet wird dabei, neben der Verantwortung für das Hier und Jetzt, dass es eine Gesellschaft vor und nach der nationalsozialistischen Diktatur gab. Die deutsche Bevölkerung wurde nicht zwischen 1933 und 1945 ausgetauscht. Vielmehr ermächtigte die Mehrheit der Deutschen qua Votum, Zustimmung oder Billigung und sprach damit nicht nur eine Ermächtigung aus, sondern gab aktiv Verantwortung ab.
Wenn heute die historische und gegenwärtige Verantwortung als Schuld verstanden wird, von der man sich befreien muss, bedarf es eines Schuldigen, den man verantwortlich machen kann und an den man die Verantwortung postum abgeben kann. Der gegenwärtigen Verantwortung wird man dadurch aber nicht gerecht und die vermeintliche Befreiung ist nur ein Trugbild.
Beide Beispiele sollen verdeutlichen, dass der historische Nationalsozialismus zwar historisch betrachtet Vergangenheit, aber gesellschaftspolitisch Gegenwart ist und vor allem kein abgeschlossenes Kapitel. Und das, so erschreckend dies auch klingen mag, scheint niemand besser verstanden zu haben, als die Neonazis selbst, die auch achtzig Jahre nach dem Ermächtigungsgesetz für die “Behebung der Not von Volk und Reich” marschieren. Denn wäre der Nationalsozialismus in ihrem Denken ein abgeschlossenes Kapitel, so wären sie konsequenterweise eine unnötige Fußnote der Gegenwart.
Neonazismus, Faschismus und Rassismus sind Teile unserer gesellschaftlichen Realität und die Mordserie des NSU sowie weitere unzählige Ereignisse verdeutlichen, dass es sich dabei weiterhin um ein aktuelles gesellschaftliches Problem handelt. Damit ist jeder Bürger, gewollt oder ungewollt — als Teil der gesellschaftlichen Realität — auch Verantwortungsträger. Und als Verantwortungsträger muss jeder Bürger als Teil dieser Gesellschaft täglich Ermächtigungen erteilen, Verantwortung abgeben und Vertrauen aussprechen. Doch lehren die Entwicklungen um dem 23. März 1933, dass der mündige Bürger sich dabei als Teil einer demokratischen Gesellschaft nicht entmachten lassen darf, da er sonst weder Bürger noch Verantwortungsträger einer Gesellschaft ist, die aus der Geschichte gelernt hat, um die Zukunft zu gestalten.
Zuerst erschienen unter: www.150-jahre-spd.de
http://www.150-jahre-spd.de/85900/1933_ermaechtigungsgesetz.html;jsessionid=1E41D7398FF12DC310B05275198DA66A?initvoicelb=93752