Finanzierung der Arbeit von EXIT-Deutschland ab 2020 unklar – Teil 2
Wir bedanken uns bei all jenen, die auf unseren offenen Brief an die Bundeskanzlerin reagiert haben.
Am 24.6. erhielten wir eine Antwort vom BMFSFJ auf unseren Brief an Ministerin Giffey, die wir ohne öffentliche Aufmerksamkeit offensichtlich nicht erhalten hätten – und die angesichts ihrer Inhaltlosigkeit und bürokratischen Abwehr schier sprachlos macht.
Die Referatsleitung, die das Bundesprogramm zu verantworten hat, geht mit keinem Wort auf die inhaltlichen Punkte unseres Schreibens ein, sondern reiht Textbausteine aus den Förderrichtlinien des neuen Bundesprogramms ab 2020 aneinander und verweist auf die Verantwortung jeder einzelnen Organisation, sich mit einer Interessenbekundung ins Auswahlverfahren über die künftige Projektförderung zu begeben – ungeachtet der Tatsache, dass die Förderrichtlinien so konzipiert sind, dass mehr als 5 Träger für ein sogenanntes Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus auf Bundesebene gar nicht vorgesehen sind. Und dieses steht für die Abgabe der Interessenbekundung bereits fest – und zwar unter Ausschluss von EXIT-Deutschland. Zudem ist eine Ausstiegsarbeit auf Bundesebene qua Programmleitlinie überhaupt nicht vorgesehen. Aus diesen Gründen sehen wir uns gezwungen, erneut Öffentlichkeit herzustellen, um auf diese eklatante Fehlkonstruktion des neuen Bundesprogramms in Bezug auf strategisches Vorgehen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus hinzuweisen.
Wir werden als Solitär und einziger Vertreter in Sachen zivilgesellschaftliche bundesweite Ausstiegs- und Deradikalisierungsarbeit, zudem mit vorzeigbarer Erfolgsbilanz, eine Interessenbekundung abgeben und zwar unter Berufung auf den Beschluss der Bundesregierung von 2013 und den Koalitionsvertrag 2018. Darin heißt es: „Die Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse bleiben für die präventive Arbeit gegen Rechtsextremismus handlungsleitend.“1
Wir machen an dieser Stelle auch nochmals darauf aufmerksam, dass die Neuausrichtung des Programms ab 2020 nicht nur die Arbeit von EXIT-Deutschland betrifft, sondern z.B. auch die BAG Rechtsextremismus.
Im derzeitigen Bundesprogramm „Demokratie leben! des BMFSFJ (2015-2019) wurde eine Programmsäule2 installiert, die dahingehend ausgerichtet ist, Träger in der Strukturentwicklung zum bundeszentralen Träger zu fördern. Zu Beginn des Programms im Jahr 2015 waren es 16 Träger mit relevanter bundesweiter Arbeit, die entsprechend der Leitlinie dieser Programmsäule ausgewählt wurden mit dem Ziel, erprobte Angebote von Trägern zu verstetigen und Strukturen der Organisationen und Träger zu sichern. In der Zielsetzung wird zudem auch ausdrücklich Bezug genommen auf die Gefahren des Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus, die die Aufdeckung der NSU-Morde noch einmal deutlich vor Auge geführt habe und das Erfordernis zielgerichteter Präventionsstrategien, u.a. „insbesondere gegen Rechtsextremismus“. Davon ist im neuen Programm nichts mehr zu lesen.
2017 wurde die Anzahl der Träger auf 35 erhöht und damit auch die Themen- und Strukturfelder. Im Ergebnis ergibt sich das Bild einer gewissen Beliebigkeit und nicht erkennbaren Struktur des strategisch substantiellen Gesamtansatzes, wenn jeder Träger sein eigenes Themen- und Strukturfeld bildet.
Nichtsdestotrotz werden bis Jahresende 2019 35 Träger dafür gefördert, ihre Trägerstruktur dahingehend zu entwickeln, Träger mit bundeszentraler Bedeutung im jeweiligen Arbeitsfeld zu werden. Es handelt sich qua Leitlinie um keine Förderung nur eines einzelnen Projektes eines Trägers, sondern um eine Strukturentwicklung zum bundeszentralen Träger. Über 5 Jahre hinweg wurde durch die Programmverantwortlichen des Familienministeriums suggeriert, dass dies eine Relevanz hat sowohl für die Bedeutung der inhaltlichen Arbeit auf Bundesebene als auch für die Kontinuität der Finanzierung.
Im Förderaufruf Handlungsbereich Bund für die Förderperiode 2020-2024 sucht man die Kategorie bundeszentrale Träger nun allerdings vergeblich.3 Vergeblich sucht man auch nach dem bisherigen Themen- und Strukturfeld Ausstiegsberatung auf Bundesebene, so, wie das Programm insgesamt eine Strategie im Umgang mit dem Rechtsextremismus stärker denn je vermissen lässt.
Durch die willkürliche Begrenzung auf maximal 5 Träger, die sich in einem einzigen Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus / Bund zusammenfinden dürfen, werden auch Träger, die bislang im Bereich Rechtsextremismus tätig waren, in andere Programmbereiche wie Demokratieförderung oder Vielfaltgestaltung hineingezwungen, was demzufolge auch mit einer Verschiebung der inhaltlichen Arbeit einhergehen wird.
Der mit der Programmkonstruktion bewirkte und als „Wettbewerb“ getarnte Mechanismus der Aussortierung von Trägern im Förderbereich BUND wird durch den Einsatz von anonymen „Gutachtern“ abgesichert, die auch aus der Trägerlandschaft kommen, was grundsätzlich eine tatsächliche Neutralität in Frage stellt, in einem insgesamt intransparenten Vergabeverfahren.
Das Programm spaltet politisch und fachlich, bevor es begonnen hat und beschädigt das noch laufende Programm bis Jahresende 2019. Damit schwächt das BMFSFJ den vielbeschworenen Kampf gegen den Rechtsextremismus.
EXIT-Deutschland arbeitet seit nunmehr fast 20 Jahren und 740 begleiteten Ausstiegsfällen. Obwohl die Sinnhaftigkeit und der Erfolg der Arbeit von EXIT von Seiten der über die Jahre jeweils politisch Verantwortlichen nie bestritten wurde, musste um die Finanzierung immer wieder aufs Neue gerungen werden. Und ohne die Hilfe namhafter Unterstützer und der vielen, vielen Menschen, die uns immer wieder zur Seite standen (z.B. 2013 mit einer Petition) sowie ohne die zahlreichen kleinen und größeren Spenden – die nicht nur für direkte Ausstiegshilfen, sondern auch für die Kofinanzierung von Projektförderungen des BMFSFJ eingesetzt werden mussten – hätte die Arbeit schon längst eingestellt werden müssen. An dieser Stelle sagen wir – auch im Namen derjenigen, denen damit geholfen werden konnte, ganz herzlichen Dank an alle, die unsere Arbeit unterstützen.
Ausstiegsarbeit, zumal aus der hochideologischen und militanten rechtsextremistische Szene, passte nie in die Konzepte präventiver Bildungspädagogik für sogenannte rechtsaffine Jugendliche, die Rechtsextremismus seit 30 Jahren zur Jugend- und Autoritätsproblematik vor allem des Ostens Deutschlands erklären. Daran hat sich trotz NSU nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil. Mit dem neuen Bundesprogramm wird der Extremismusansatz insgesamt zurückgefahren, und es wird die Grenze zum originären, durch den Verfassungsschutz und Gerichte rechtlich definierten Rechtsextremismus immer weiter aufgeweicht, was diesen nicht schwächen, sondern stärken wird.
Die Bedeutung von Ausstiegsarbeit ist offensichtlich nie wirklich erkannt oder aber aus fachlich unerfindlichen ideologischen Gründen nie wirklich gewollt worden. Deradikalisierende und in die rechtsextreme Szene hinein interventive Ausstiegsarbeit bedeutet nicht nur eine Schwächung der Szene und Opferschutz durch Täterentzug, sondern auch vielgestaltige Prävention. Aufklärungs- und Counterarbeit von Ausgestiegenen hat einen eigenen Wert, der durch pädagogische Bildungsarbeit in dieser Form allein nicht geleistet werden kann.
Aus diesen Gründen sind sehen wir einen eklatanten Widerspruch zwischen den aktuellen Forderungen und Mahnungen aus dem politischen und medialen Raum und den sich anbahnenden neuen und deutlich verschlechterten Rahmenbedingungen insbesondere für die Auseinandersetzung mit dem militanten Rechtsextremismus – ein Schritt zurück in die 1990er Jahre.
EXIT-Deutschland, 27.6.2019
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Fußnoten
1 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12.März 2018, S. 119, abrufbar unter
2 Leitlinien abrufbar unter