31. August 2016

Interview mit Daniel Thönnessen

Dr. Bernd Wagner
AKTIONSKREIS Ehemaliger Extremisten

Interview mit Daniel Thönnessen

Daniel Thönnessen war in der bayerischen rechtsextremen NS-Szene aktiv und hat sich nach eigenen Wirrungen von dieser gelöst. Journal EXIT fragte ihn über seinen Werdegang und seine heutige Reflexion der biografischen Abläufe in denen er seine heutige menschliche Verantwortung finden muss.

Das Interview konnte manches nur anreißen und fordert einen weiteren Dialog mit Nachfragen, weitere Erörterungen, um besser Haltungen und Taten besser zu verstehen, um zu lernen, was erforderlich ist, dass Biografien nicht einen solchen Verlauf nehmen müssen, wo und wann, an welchen Punkten Möglichkeiten vorhanden sind, Schäden, die aus der ideologischen und mentalen Radikalität entstehen, für alle Beteiligten abzuwenden.

Sicher lassen sich nicht alle Radikalisierungsverläufe in einer Biografie und in einem Interview erkennen. Es gibt aber Aufschlüsse über individuell wirksame Muster, die in allen rechtsradikalen Gruppen und nicht nur dort anzutreffen sind.
Die biografische Befragung ist für den Ausstieg aus dem Rechtsradikalismus wichtig. Sie hilft, das eigne Denken und Fühlen zu begreifen und von einem distanzierteren Standpunkt aus einer Draufsicht zu bewerten.

Dr. Bernd Wagner:
Herr Thönnessen, Sie sind in eine Schule gegangen, die Ihnen kein rechtsradikales Weltbild vermittelt hat. Was ist geschehen, dass Sie sich weltanschaulich in diese Richtung entwickelt haben? Was hat Sie angesprochen, welche ‚Wahrheiten’ haben sie dort gesucht und zu finden geglaubt?

Daniel Thönnessen:
In der Schule wurde das Thema meines Erachtens nur gestreift und es wurde auch nicht wirklich pädagogisch aufbereitet. Bei meiner Entwicklung, bezogen auf meine Rechtsradikale Vergangenheit spielte das Weltbild eine sehr untergeordnete Rolle, ich habe mich nicht wirklich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, sah auch keine „Rassen“ oder Menschen wegen Ihrer Herkunft als besser oder minderwertig an. Das klingt zwar bei meiner Historie seltsam, es war aber so. Ich suchte in der Szene einen Nervenkitzel, die sogenannte Kameradschaft, den Zusammenhalt in Kombination damit von der Masse nicht gemocht zu werden. Ich war auf der Suche nach dem Gefühl etwas verändern zu können, wofür ich Anerkennung bekommen hätte. Zudem war ich zu dem Zeitpunkt noch sehr jung, Anfang 20 und suchte auf irgendeine Art Bestätigung, vielleicht auch neue Herausforderungen und Freunde. Mittlerweile, ich bin jetzt Anfang 30, habe ich erkannt, dass das der völlig falsche Weg war.

Dr. Wagner:
Wie haben ihre Familie und die Umwelt allgemein auf Ihre rechtsradikale Offenbarung reagiert, was haben Sie den Kritikern mitgeteilt, welche Mission haben Sie wie verkündet?

Daniel Thönnessen:
Ich habe mich nicht wirklich selbst offenbart oder an einen Tisch mit meiner Familie gesetzt, sie haben das erst durch die Hausdurchsuchung der Polizei, manche sogar erst mit meiner Festnahme erfahren. Teilweise kamen geschockte Reaktionen, gerade von der älteren Generation, welche die Weltkriegszeit als furchtbar mahnten, aus der man gelernt haben sollte.
Enge Familienmitglieder haben diese Entwicklung auf ihre Erziehung zurückgeführt und sich/mich gefragt was sie falsch gemacht hätten. Leider war das Verhältnis zu meiner Familie damals auch etwas distanzierter als es heute ist. Mitteilen konnte ich ihnen nur, dass es absolut nichts mit ihnen zu tun hatte und ich mich in dieser Szene „nur“ austoben wollte. Trotzdem waren sie geschockt, auf ihre Art.

Dr. Wagner:
Wer und was hat Sie in der rechtsradikalen Szene geprägt, in welche Richtungen sind Sie dort gegangen und in welche Aktionsformen haben Sie sich eingebunden?

Daniel Thönnessen:
Geprägt wurde ich durch den zeitlichen und finanziellen Aufwand den andere in der Szene betrieben haben. Dem wollte ich nicht nachstehen und habe mich ebenfalls eingebracht wo ich konnte. Zum Beispiel bei der Planung und dem Ablauf von internen und öffentlichen Veranstaltungen.
In meinem damaligen Wohnort habe ich sehr darauf geachtet im Straßenbild präsent zu sein, persönlich sowie in Form von Aufklebern. Teilweise, und dafür wurde ich vor einigen Jahren verurteilt, auch in Form von Sachbeschädigungen, um Personen oder Gruppierungen einzuschüchtern.
Ich möchte mich auch hier nochmal von all meinen Taten distanzieren, das war alles völlig unüberlegt und dumm. Auch zu diesem Zeitpunkt habe ich nie einen „Rassenunterschied“ als Antrieb zu diesen Taten gesehen, sondern es war schlicht und ergreifend mein fehlgelenkter Wunsch nach Anerkennung, Action, und die „Kameradschaft“ stolz zu machen. Ich erinnere mich gerade auch an eine Aktion an der ich teilnahm. Es war eine Demonstration gegen einen Moscheenbau, wenn ich mich nicht irre. Ich habe mir extra dafür ein Südstaaten T-Shirt angezogen, weil ich hörte, das sei besonders böse und damit würde man schnell im Mittelpunkt der Presse stehen. Ich wusste zwar, dass in den Südstaaten durch die Weißen keine afroamerikanische Bevölkerung gewünscht wurde, aber was das im Detail für die Afroamerikaner bedeutet, war mir nur wenig klar.
Auch bei einer anderen Aktion an der ich beteiligt war und wir die Außenwand eines jüdischen Friedhofes mit Parolen angepinselt haben, war die Motivation der Film „Hass im Kopf“ und die Parolen waren aufgeschnappt bei Demos, bei „Kameraden“ oder irgendwo abgelesen.
Welche Schwierigkeiten es in anderen Ländern gab (wie z.B. den Südstaaten) war mir überhaupt nicht klar. Es ging mir einzig und allein darum, zu den „Starken“ zu gehören.
Mit meinen 30 Jahren jetzt habe ich Gott sei Dank gelernt, dass man nur zusammen stark sein kann.

Dr. Wagner:
Welche Phasen haben Sie in der rechtsradikalen Szene erlebt, wie haben Sie diese reflektiert, was hat Sie gestört, was hat ihnen Auftrieb gegeben?

Daniel Thönnessen:
Da die Zeit in der rechten Szene mein Alltag war, gab es auch dort das ganz normale Auf und Ab. Es gab für mich Zeiten in denen ich mich um nichts gekümmert habe, andererseits aber auch Momente in denen ich Alles für möglich hielt.
Ich sah mich irgendwann auch in der Rolle des Motivators und wenn es kleine Risse gab oder Probleme untereinander, habe ich diese versucht zu flicken oder zu vermitteln, um private Zwiespältigkeiten unter den Leuten nicht ausufern zu lassen. Jeder Erfolg, meist intern oder ablaufmäßig, hat mir Auftrieb gegeben und auch die Kraft mein Selbstbewusstsein und mein Selbstverständnis zu stärken.

Dr. Wagner:
Wie haben Sie die Wechselspiele von Ideologie, Gruppenleben und Aktionen erlebt, was hat die Dynamik mit Ihnen gemacht? Sind Sie in Straftaten verwickelt worden? Wie haben Sie reagiert?

Daniel Thönnessen:
Gruppenleben und Aktionen, das Buhlen um Anerkennung waren für mich ausschlaggebend. Das Zusammensitzen, Aktionen mit viel Action besprechen und planen, neue Erkenntnisse aus vorangegangenen Aktionen analysieren, all das gab Energie und Freude für weitere Aktionen und Reaktionen. Die in einer vorigen Frage angesprochenen Straftaten gingen von mir aus, sodass man sagen kann, dass ich nicht verwickelt, sondern leider auch der Initiator war.
Zu damaligen Zeiten waren diese Verhaltensmuster für mich normal, was die Gesetze als richtig oder falsch hinstellen, zählte nicht, es ging darum „besser“, „stärker“ oder einfach „der Gewinner“ zu sein. Dafür wurde einiges riskiert. Mittlerweile bin ich ein bisschen schlauer und weiß, dass genau das eine Ideologie ist auf die man besser nicht hereinfällt.

Dr. Wagner:
Was hat Ihre inneren Zweifel an den verkündeten Wahrheiten und den Normen der Szene genährt? Wie sind Sie damit umgegangen? Wie fing es an zu zweifeln?

Daniel Thönnessen:
Nachdem ich ca. 2005 den Kontakt in die rechtxtreme Szene bekam und schnell vertiefte, verschwand mein „alter“ Freundeskreis schnell. Und mein Leben änderte sich leider grundlegend. Ich habe mich sprichwörtlich verführen lassen von „großen“ Worten, von „actionreichem“ Handeln, von Parolen, von falschen Freunden und der falschen Wahrheit. Nachdem ich für meine oben beschriebenen Taten, völlig zu Recht verurteilt wurde, haben sich mein damaliger Arbeitgeber und auch meine Mutter sehr darum bemüht, mich irgendwie wieder auf die gerade Bahn zu bringen. Dafür bin ich allen im Nachhinein sehr dankbar. Zu dieser Zeit fing ich übrigens auch an, mich vegetarisch zu ernähren. Als ich dann über Umwege nach München kam, suchte ich trotzdem zuerst wieder Kontakt zu „Kameraden“. Ich war alleine in einer fremden Stadt und wusste einfach keinen besseren Weg als irgendeinen Anschluss zu finden. Tatsächlich wurde ich auch mit offenen Armen empfangen und sogar noch stärker beachtet als zuvor. Das hätte mir auch fast das Genick gebrochen, doch irgendwie fing parallel dazu an, etwas in mir zu arbeiten.

In den neuen vegetarischen Restaurants, wo ich nun arbeitete, hatte ich viele ausländische Mitarbeiter, mit denen ich mich auch von Anfang an gut verstanden habe. Irgendwann, und ich kann wirklich nicht sagen wie es dazu genau kam, aber irgendwann wurde mir klar, was ich für ein unrechtes und falsches Bild in meinem Kopf aufgebaut hatte, aus dem ich aufgrund vorher fehlender Optionen nicht rausfand.
Der Zweifel der sich in mir aufgetan hatte, war, dass ich den Sinn in meinem Sein der letzten 5 Jahre nicht sah. Ich fragte mich wie ein Großteil meiner damaligen Mitstreiter tatsächlich gegen „die Ausländer“ sein kann oder zwischen verschiedenen Hautfarben unterscheidet und den Menschen die Lebensexistenz abspricht. Diese dumpfe Meinung wich immer mehr von meinem Verständnis ab. Durch den Umstand, dass ich dann und fürderhin jedwedes Lebewesen als einzigartig betrachte und auch wertschätze, egal welche Hautfarbe oder Herkunft, egal ob Tier oder Mensch, habe ich mich schlussendlich von meiner früheren Einstellung entfernt.
Ich kann wirklich gar nicht mehr verstehen was damals los war mit mir. Es tut mir unendlich leid für alle die durch mich gelitten haben, aber es tut mir auch leid für mich. Ich habe da wirklich Zeit verloren, die ich schon damals hätte sinnvoller einsetzen können.

Ich bin trotzdem sehr dankbar, dass es immer mal wieder auf meinem Weg Leute gab und immer noch gibt, die in mir auch den anderen Daniel gesehen haben und mich nicht fallen gelassen, rausgeschmissen, gekündigt oder abblitzen lassen haben, sondern an mich geglaubt haben und mir eine Chance gaben mich zu bessern und mich zu beweisen. Diesmal auf eine gute und menschenfreundliche Art und Weise, so hoffe ich doch.

Dr. Wagner:
Sie sind unter Kritik gesetzt worden, dass Sie Ihren Ausstieg nicht konsequent durchgezogen zu haben und sich nicht klar von Ihren alten Bekenntnissen und Kameraden distanziert haben? Wie sehen Sie heute die Kritik?

Daniel Thönnessen:
Die Kritik sah ich schon damals als berechtigt an. Wer glaubt schon jemandem aus dem rechten Lager, einem Aussteiger der es nicht „richtig“ macht? Ich hätte mir wahrscheinlich, als Außenstehender, selber nicht geglaubt.
Es war einfach eine schwere Zeit und ich wusste einfach nicht was zu diesem Zeitpunkt richtig oder besser ist. Mittlerweile sehe ich das anders und bin froh, auch durch Sie Unterstützung zu bekommen, um mit meiner Vergangenheit aufzuräumen.
Heute und hier nutze ich die Chance, um mich von meinem damaligen Handeln zu distanzieren und mich dafür zu entschuldigen. Ich habe mich schon unmittelbar nach meinem Ausstieg bei damaligen Opfern von mir entschuldigt.

Dr. Wagner:
Wenn Sie einen Bilanzstrich ziehen: Was sehen Sie heute als die zentralen Punkte und Vorstellungen und Praktiken an, die den Rechtsradikalismus ausmachen und von denen Sie heute warnen und Abstand ansagen?

Daniel Thönnessen:
Gerade in der heutigen Zeit ist der Umgang mit geflüchteten Menschen ein ganz wichtiger Punkt. Die Angst, wo nicht dazu zu gehören kennt fast jeder. Angst kann aber auch ein schlechter Ratgeber sein.
Sich über andere zu erheben, sich besser und stärker fühlen zu wollen, über eine Minderheit, als Mehrheit, bringt eigentlich fast immer Negatives mit sich.
Mitgefühl zu haben mit anderen, sich für Schwächere einsetzen, zusammen und im Dialog etwas zu bewegen, ist wichtiger und gewinnbringender als seine Meinung auf Biegen und Brechen anderen überzustülpen. Das gilt mittlerweile bei mir für alle Formen des Lebens, ausnahmslos.

Dr. Wagner:
Als ehemaliger Rechtsradikaler haben Sie viele Gebrechen der heutigen Gesellschaft angeprangert, nach völkischen, nationalistischen und auch diktatorischen Wegen zur Errichtung einer in Ihren Augen ‚idealen Gesellschaft’ angestrebt. Wie gehen Sie heute mit gesellschaftlichen Konflikten um? Was ist Ihnen heute wichtig?

Daniel Thönnessen:
Gesellschaftlichen Konflikten stehe ich heute offener gegenüber. Darüber reden ist besser als sie als sie tot zu schweigen, ist meine heutige Devise. Sich stellen, das sollte jeder tun, das musste, ich aber leider selber hart und zäh erlernen.
Im Vergleich zu damals ist es mir wichtig, mich auf Neues einzulassen und Dinge anzuhören, man kann nur dazulernen. Ich habe die Möglichkeit mich auf verschiedenen Ebenen zu informieren, man soll gewiss nicht alles glauben was man hört und liest, aber umso mehr Input desto mehr kann ich abwägen worauf es ankommt.

Dr. Wagner:
Was raten Sie anderen Menschen, die in der rechtsradikalen Szene verstrickt sind, wenn Sie dem ein Ende setzen wollen?

Daniel Thönnessen:
Sollte sich jemand dazu entscheiden, der rechtsradikalen Szene den Rücken zu kehren, muss er oder sie wissen, dass das kein einfacher Weg sein wird, aber ein Weg der sich lohnt.

Mein Wort: gehe offen mit deiner Entscheidung um, versuche nicht alles im Geheimen und alleine zu entscheiden. Sprich mit Experten oder mit langen alten Freuden, mit der Familie, teile dich mit. Treffe dann die Entscheidungen für dich und lass die anderen in der Szene machen was sie wollen. Sich nur um sich und den Ausstieg zu kümmern, kostet schon eine Menge Kraft, Energie und Zeit. Aber wenn du dranbleibst und dir alles genau überlegst, egal wie tief du vorher dringesteckt hast, dann kommt du zu dem Schluss, dass die rechtextreme Szene indiskutabel ist für das Wohl des Planeten.