29. Januar 2012

Kriegerinnen

Von Bernd Wagner

Kommentar von Bernd Wagner

Interview EXIT-Deutschland

Seit einiger Zeit ist die Welt auf den Geschmack gekommen: die Frau und der Rechtsextremismus.

Ein neues Modethema ward geboren. Dabei ist den Beobachtern schon in den 1990er Jahren klar, dass sich ein sozial-kultureller Phasenwechsel vollzieht. Schon damals gab es in wachsender Zahl Mädchen und Frauen, die nicht nur rechtsextreme Freunde hatten, sondern eigenständig mit und ohne Partner zu Ideologinnen und Aktivistinnen aufstiegen. Einige davon sind mit Hilfe von EXIT-Deutschland ausgestiegen und haben für sich und ihre Kinder kaum geschützt ein neues Leben aufgebaut. Die Probleme und Risiken, die ein Ausstieg gerade für Frauen mit Kindern mit sich bringt, sind erheblich. Antworten von Seiten der Politik, von Polizei und Justiz oder den vielen „Genderbeauftragten“ der Demokratie blieben bis dato aus.

Der Film KRIEGERIN von David Wnendt, der seit dem 19.01.2012 in den Kinos zu sehen ist, zeigt einen realistischen Ausschnitt der Konsequenzen dieser Entwicklung.

Ein guter und verdienstvoller Film, in dem sich ehemalige Nazifrauen wiedererkennen können.

Auch wenn nicht alle so sind wie Marisa, der Protagonistin des Films, ist die Militanz durchaus ein Bestandteil der Persönlichkeit von rechtsextremen Frauen geworden. Sie stehen heute als Soldatinnen an den vielfältigen Fronten des Nationalen Widerstands, auch mittels Gewalt, wie der Fall Zschäpe zeigt. Zugleich leben die klassischen Rollen fort: Kindererziehung, Gebären für die Rasse,

für das Volk, damit sich Leute wie Thilo Sarrazin nicht mehr ob des vermeintlich drohenden Volkstods grämen müssen. Sie dienen damit einer Mission, einem Gaukelwerk, das scheinbar ein gutes Leben zu verheißen scheint.

Die Zugänge zur rechtsextremen Szene unterschieden sich für Mädchen und Jungen kaum noch. Peergroup, Musik, Mode, Welterklärung. Eine wichtige Größe ist das Internet geworden, aber auch die Normalität eines völkischen Lebens in Familien ist ein Grund.

EXIT-Deutschland wird sich auch zukünftig dem Thema widmen — denn unabhängig von wissenschaftlichen und öffentlichen Diskursen haben wir es in der Praxis mit handfesten Problemen zu tun, die zu lösen sind.

INTERVIEW EXIT-Deutschland

EXIT-Deutschland sprach mit Annika, Mitte 20 und bis vor einiger Zeit in der bayerischen Neonaziszene aktiv, gehörte aber nicht direkt zum Gewaltfeld. Oft nahm sie an Demonstrationen, Konzerten und anderen Aktivitäten teil. Nun ist sie ausgestiegen und wird von EXIT-Deutschland unterstützt. Im Interview gibt sie Auskunft zu ihren Bezügen zur rechtsextremen Szene, der Rolle von Gewalt und ihrem Ausstieg.

• Wie bist du in die Szene gekommen und warum hast du sie verlassen?

Ich bin durch meine Familie in die Neonaziszene gekommen, bei uns zu Hause war das leider normal. Mit der eigenen Familienplanung wuchsen dann die Zweifel, ob ich meine Kinder auch einmal so erziehen möchte. Die darauf folgende Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Themen hat mich davon überzeugt, dass ich mit diesem Hass nicht mehr leben kann und möchte. Jemand aus meinem Umfeld hat mich an EXIT-Deutschland gebracht

• Welche Rolle spielt Gewalt in der Szene? Wurdest du Opfer von Gewalt vor oder nach dem Ausstieg?

Gewalt spielt eine große Rolle. Viele profilieren sich intern mit ihren Gewalttaten, in den populärsten Liedern der rechtsextremen Musik geht es um Gewalt. Dass die Gewalt nicht nur besungen wird, zeigten ja auch die schrecklichen Taten der Zwickauer Terrorzelle. Besonders gegen antifaschistische Akteure und „Aussteiger“ ist kaum eine Hemmschwelle zu erkennen, da ist jedes Mittel recht, um den „Feind“ zu bekämpfen. Mir selbst wurde aber bisher keine Gewalt angetan.

• Ist der Ausstieg für Frauen schwerer? Was unterscheidet sich vom Ausstieg von Männern?

Grundsätzlich ist wahrscheinlich für jeden der Ausstieg gleich schwer – egal ob männlich oder weiblich. Wie komplex ein Ausstieg ist, hängt eher davon ab, wie aktiv man vorher in der Szene

war und in welchen Kreisen man sich dort bewegt hat. Es ist auch relevant, wie weit man sich dann schon verankert hat, zum Beispiel wenn man als Frau mit einem aktiven Neonazi verheiratet ist

oder sogar ein Kind von ihm hat. Dann kann es natürlich schon noch bedeutend schwerer werden. Generell zeigen meine Erfahrungen mir aber, dass Männer nach einem Ausstieg viel mehr Angst vor Racheaktionen in Form von körperlichen Übergriffen haben müssen als Frauen.

• Kann man ganz aus der rechtsextremen Szene aussteigen? Was kommt danach?

Ja, man kann ganz aussteigen, man kann auch dieses menschenverachtende Gedankengut hinter sich lassen und ein “normaler” Mensch in der Gesellschaft werden aber diese Lebensabschnitt wird immer gegenwärtig sein, einen immer verfolgen. Ich finde man sollte diese Erfahrungen einfach nutzen und sich dafür einsetzen, dass anderen Menschen nicht ähnliches passiert. Institutionen, die sich intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen, darüber informieren und versuchen, Menschen aus der Szene wieder herauszuholen, müssen viel mehr ausgebaut werden.

• Wie denkst du jetzt über deine Zeit in der Nazi-Szene?

Ich schäme mich und kann mich in mich selbst nicht mehr hineinversetzen. Besonders beschämend ist, dass ich in dieser Zeit selber nie wahrgenommen habe, welchen Schaden die von mir unterstützten Parolen eigentlich für andere Menschen bedeuten.

• Hattest du auch Freunde außerhalb der Szene?

Ja ich hatte Freunde außerhalb der Szene, aber das ist eigentlich nicht die Regel. Die meisten sind sozial komplett isoliert, oft haben sich nicht nur Freunde, sondern auch die gesamte Familie abgewandt. Für diese Personen ist es besonders schwierig, aus der Szene zu kommen, weil weder Druck noch Hilfe von außen da sind.

• Welche Rollen nehmen Frauen in der rechtsextremen Szene ein? Ist man Männern ebenbürtig?

Frauen sind in der Szene Männern nicht gleichgestellt. Frauen haben ihre festen Aufgaben, für die

sie wichtig und unabkömmlich sind. Ich hatte immer das Gefühl, dass gerade in der NPD Frauen gerne für die Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel an Infoständen benutzt werden, weil sie für den normalen Bürger vertrauenerweckender sind.

• Wie denkst du jetzt politisch?

Ich finde es besonders wichtig, dass wir unsere Demokratie fördern und verteidigen. Und wir

müssen aus der Vergangenheit Deutschlands lernen. Gerade wenn wir uns mit der Nazi-Zeit und

der DDR befassen, können wir doch nicht so dumm sein und unser jetziges System aufs Spiel setzen und verteufeln. Politische Veränderungen sind wichtig, es ist auch wichtig, dass man sich gegen Dinge einsetzt, die in der Politik falsch laufen. Aber das alles nur auf dem Boden unseres demokratischen Rechtsstaates. Das ist eigentlich die wichtigste Erkenntnis aus meiner Zeit in der rechtsextremen Szene.

• Was wünschst du dir für deine Zukunft?

Meine Wünsche sind seit meinem Ausstieg eigentlich alle in Erfüllung gegangen. Aber ich wünsche mir für uns alle, dass das öffentliche Interesse an Rechtsextremismus nicht wieder nur ein Strohfeuer aufgrund der aktuellen Ereignisse ist, sondern endlich wirklich als wichtig angesehen wird.