Publikation: 20 Jahre EXIT-Deutschland
EXIT-Deutschland 2000 – 2020
Seit dem Jahre 2000 bietet EXIT-Deutschland Hilfen für Personen, die aus der rechtsextremen Szene aussteigen wollen. Bernd Wagner war schon in der DDR als Kriminalpolizist mit Neonazis befasst: Er brachte sie für ihre Straftaten hinter Gitter und hat Ideologie, Strukturen und Vorgehensweisen studiert und analysiert. Schon damals stellte er fest, dass Repression bei der Verfolgung und Ahndung von Straftaten unerlässlich ist, er sah darin aber kein Mittel, um Rechtsextreme von ihrer Ideologie abzubringen. Dies ist jedoch die notwendige Voraussetzung dafür, dass diese von politisch motivierter Gewalt ablassen. Mit der Wende vereinigten sich auch Neonazis zu einer neuen Dimension des Rechtsextremismus in Deutschland. Die Ereignisse der frühen 1990er Jahre sind wohl allen in bleibender Erinnerung. Bernd Wagner, inzwischen Leiter des Polizeilichen Staatschutzes für die neuen Bundesländer, traf auf Ingo Hasselbach, der ihm schon als Nazianführer in der Wende-DDR bekannt war. 1993 wollte er aussteigen – kein leichtes Unterfangen. Aussteiger gelten als Verräter, die einschließlich ihrer Verwandten und Helfer verfolgt, nicht selten sogar mit dem Tode bedroht werden oder gar getötet wurden. Ohne Hilfe von außen ist das meist nur schwer zu bewältigen.
So entstand die Idee zur Gründung von EXIT-Deutschland.
Heute – nach 20 Jahren Arbeit mit rund 35 Jahren Erfahrung – haben wir über 760
Ausstiegsprozesse begleitet. Eine durchaus erfolgreiche Arbeit, meinen wir. Und eine Arbeit unter einer permanent unsicheren Finanzierungslage. Nach der Aufdeckung des NSU hatten wir die Hoffnung, dass sich die Politik veranlasst sieht, angesichts gebotener Weitsicht die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus – verstanden als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – so aufzusetzen, dass die Finanzierung der Arbeit kompetenter und erfolgreich arbeitender zivilgesellschaftlicher Träger nicht permanent neu aufgeworfen und in Frage gestellt wird. 2013 sah es für die Arbeit von EXIT-Deutschland auch tatsächlich so aus. Im Zusammenhang mit dem Verzicht auf den Antrag des NPD-Verbots sollten mit Beschluss der Bundesregierung die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Arbeit von EXIT-Deutschland grundlegend zu sichern. Damit durften wir einen Förderantrag beim BMFSFJ stellen, seit 2015 dann im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“
2019 – am Ende dieser Förderperiode und etliche rechtsextreme Gewalttaten weiter – änderte das BMFSFJ seine Förderrichtlinien ab 2020 dahingehend, dass eine bundesweite Ausstiegsarbeit nicht mehr vorkommt. Die Gründe für einen derartigen Strategiewechsel sind angesichts einer unveränderten Lage im Bereich Rechtsextremismus nicht ersichtlich. Nur mit sehr großer öffentlicher Anstrengung ist es gelungen, dass wir einen Antrag als Begleitprojekt für 2020 stellen durften mit
Aussicht auf weitere zwei Jahre.
Mit diesem Jubiläumsheft möchten wir einen Überblick über die vielfältige Arbeit von EXIT-Deutschland geben und unsere Projekte und Initiativen vorstellen, die die Ausstiegsarbeit rahmen.
Wir danken all jenen Menschen, die unsere Arbeit begleiten – von Beginn an, seit vielen Jahren oder erst seit kurzem. Ohne diese Unterstützung hätten wir längst aufgeben müssen. Einige von ihnen kommen hier zu Wort. Wir freuen uns sehr, dass sie sich die Zeit dafür genommen haben.
Auch einige Ausgestiegene, die wir unterstützt haben und zum großen Teil immer noch begleiten, erheben hier ihre Stimme. Frauen und Männer aus ganz Deutschland, aus den unterschiedlichsten Strukturen und Szenemilieus. Jeder Ausstieg so individuell wie die Person und doch ähnlich in den Erlebnissen und alle mit demselben Fazit: Die Unterstützung war wichtig! Trotz ihrer teilweise dramatischen Sicherheitslage ergreifen sie hier das Wort, um sich dafür einzusetzen, dass die Hilfe – vor allem auch für andere, die aussteigen wollen – auch künftig nicht wegbricht. Aus Sicherheitsgründen wurden einige Gesichter durch ein Symbolbild ersetzt oder mit einem nicht mehr aktuellen Foto abgebildet. Die Namen sind bis auf Ausnahmen verändert.
Ein Ausstieg dauert im Schnitt zwischen einem und drei Jahren, eine Begleitung oftmals noch Jahre darüber hinaus – vor allem, wenn Kinder mitbetroffen sind oder der Ausstieg eine Odyssee durch mehrere Bundesländer und Ämter mit sich bringt. Eine Begleitung abzubrechen, wäre eine fatale und gefährliche Situation für die Aussteiger.
EXIT-Deutschland bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Niemand kommt daran vorbei, sich seinen Taten zu stellen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Und doch hat jede und jeder Einzelne das Recht auf einen Neuanfang. Es ist die Pflicht einer demokratischen Gesellschaft, diesen zuzugestehen und zu unterstützen.
Wir hoffen, dass wir unsere Arbeit auch in Zukunft fortsetzen können.
EXIT-Deutschland, 23. Mai 2020