Rechtsextremismus in Deutschland: Alarmsignal für die Demokratie?
Von Paul Linke
Ausschreitungen in Chemnitz, Übergriffe auf Flüchtlinge und Ausländer, Verhaftung der mutmaßlichen Rechtsterroristen von „Revolution Chemnitz“, eine immer stärker werdende AfD. Sind die Vorgänge in den letzten Wochen und Monaten ein Warnsignal für die Demokratie und den Rechtsstaat in Deutschland?
Der Rechtsextremismus ist in den späten 1980er Jahren sowie besonders in den 1990er Jahren in Deutschland stark angestiegen. Terroristische Aktivitäten aus dem Umfeld wurden lange Zeit stark unterschätzt. Der Berliner Kriminologe und Mitbegründer der Aussteiger-Initiative „EXIT-Deutschland“, Dr. Bernd Wagner, wies bereits 1993 in einem Aufsatz unter dem Titel „Terroristische Tendenzen im militanten Rechtsextremismus“, der im „Jahrbuch Extremismus & Demokratie“ erschienen ist, auf die terroristische Gefahr von rechts hin. Jedoch habe man das lange Jahre nicht ernstgenommen, bemängelt Wagner im Sputnik-Interview.
„Die gewalttätige, rechtsextreme Landschaft ist seit den 1990er Jahren in Deutschland durchaus stark entwickelt. Und es ist in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der zunehmenden Migration nach Deutschland wieder zu einem Aufwind gekommen. Es wird auch keine Entspannung geben in der nächsten Zeit. Da hege ich keine Zweifel, dass sich da noch einiges Ungutes zusammenschieben wird“, erwartet der Extremismus-Experte.
„Revolution Chemnitz“: Bürgerkrieg von rechts?
Wie durch die Chatauswertungen der mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe „Revolution Chemnitz“ durch die Polizei bekannt wurde, wollte die Gruppe mit Mitteln der Gewalt eine Systemwende herbeiführen. Der mutmaßliche Anführer von „Revolution Chemnitz“, Christian K., schrieb im Chat: „Die Revolution wird Opfer fordern, nur wir werden keine sein.“ Jedem müsse klar sein, „dass wir von einem Aussetzen der Gesetze sprechen und so von einem Bürgerkrieg“.
Die Lage in Deutschland, was den Rechtsextremismus betrifft, sei zwar Anlass, die Prozesse ernst zu nehmen. Eine Machtübernahme von Rechtsextremisten stehe in Deutschland jedoch nicht bevor, beruhigt der EXIT-Deutschland-Mitbegründer. „Christian K. mag ein Stück größenwahnsinnig sein und zu einer Form von Selbstüberschätzung neigen. Gleichwohl, sollte man diese Art von Äußerungen grundsätzlich ernst nehmen“, warnt Dr. Wagner. Dies sei kein singuläres Denken eines einsamen jungen Mannes, erklärt der Wissenschaftler: „Da ist eine Anzahl von militanten, rechtsextremen Protagonisten unterwegs, die ähnliche Gedanken hegen und die tatsächlich der Meinung sind, dass Deutschland vor einem Bürgerkrieg steht. Sie werden die Vollstrecker eines von ihnen erspürten Volkswillens gegen eine Apokalypse sein, die über Deutschland stürzt.“
EXIT-Deutschland beschäftigt sich nicht nur mit rechtsextremen Bewegungen. Auch Linksextremismus und Islamismus sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Aussteiger-Initiative. „Alle drei großen Formen des Extremismus reagieren aufeinander und gegeneinander“, erklärt der EXIT-Gründer. Das sei eine Entwicklung, auf die der Staat und die Gesellschaft „unmittelbar“ einflussnehmen müssen, „dass sich dort nicht Synergien, Kämpfe gegeneinander stärker entwickeln“, betont der Extremismus-Experte.
Die größte Gefahr: „Dysfunktionalität der Demokratie“
Die Staatsordnung sieht Wagner trotz der drei Erscheinungsformen des Extremismus nicht „grundlegend“ gefährdet. „Die größte Problematik für die Demokratie ist ihre eigene Schwäche.“ Die extremistischen Strukturen seien nicht so stark, dass sie die Demokratie als Substanz angreifen können, bemerkt Wagner. „Sie können allenfalls Störungen verursachen. Sie können auch im Alltagsleben viel Ärger machen. Aber die Staatsordnung, die Grundordnung, die zentralen Strukturen und Institutionen des Staates vermögen die Extremisten selber nicht zu schleifen.“
So müsse hart daran gearbeitet werden, dass die Demokratie nicht aus Selbstschwäche in Probleme gerät, mahnt der Experte. „Da haben auch einige Politiker zentral darauf aufmerksam gemacht. Ich denke aber, da muss noch mehr hingehört werden und die Zeichen der Zeit verstanden werden.“
„Nicht rechtsextreme Gegner künstlich aufblasen“
Im Umgang mit der Partei Alternative für Deutschland (AfD) rät der Extremismus-Forscher zu mehr Gelassenheit und Qualität in der Analyse. „Hier muss wirklich neu nachgedacht werden, wie man mit diesem Phänomen umgeht, um sich nicht vorschnell einen rechtsextremen Gegner selbst künstlich aufzublasen; da, wo es nicht notwendig ist.“ Die Partei habe in den letzten Jahren zwar einen „Drive“ erfahren, der in die rechtsradikale Richtung zeige. Doch da müsse die Partei selbst darauf achten, sich nicht weiter in die Richtung „negativ zu qualifizieren“. Gleichwohl sei die Demokratie aufgefordert, auf die dort artikulierten Kritikpotenziale einzugehen. So könne man eine Rechtsentwicklung in der rechtskonservativen Partei, aber auch außerhalb positiv angehen. „Mit reinen Stigmatisierungspolitiken wird man auf Dauer nicht weiter kommen“, so Dr. Bernd Wagner.
Ursachen für schwelenden Extremismus
Die zentralen Ursachen für ansteigenden Extremismus sieht Wagner in angehäuften Problemen, die Staat und Politik nur „schwerlich gestalten“ können. „Wenn Reformprobleme existieren, bringt das einen Lösungsstau und Stagnationen mit sich, die sich in extremistischen Haltungen artikulieren. Das muss sich die Politik deutlicher verständlich machen.“ Vor dem Hintergrund dieser Probleme müsse die Funktionalität des Staates deutlich erhöht werden. Erst dann sei die Möglichkeit einer starken Demokratie gegeben, unterstreicht Wagner: „Demokratie ist nicht nur eine religiöse Demonstration.“